„Technologie, Talente und Toleranz“. Diese drei „T“ stecken das Feld ab, auf dem nach Richard Floridas Wachstumstheorie Regionen und Städte um eine erfolgreiche wirtschaftliche Zukunft wetteifern. Nach dem letzten Beitrag dieser Serie behandelten „T“ für Technologie steht das zweite „T“ für Talente.
Die Basis für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind hochqualifizierte Mitarbeiter. Regionen und Städte müssen daher mehr denn je aktiv versuchen, die begehrten Arbeitskräfte, die Talente (zweites T im Konzept von Richard Florida) anzuziehen. Deren Wahl des Wohn- bzw. Arbeitsortes kann den Aufstieg oder Fall von Unternehmen und sogar ganzen Städten beeinflussen. Während Städte in der Vergangenheit sich darauf konzentrierten, große Produktionsbetriebe anzulocken oder sich als Handelsstandort zu etablieren, konkurrieren sie heute um die neue humane Ressource der talentiert-kreativen Klasse.
Die Präsenz dieser Talente ist laut Florida heute die wichtigste Voraussetzung für urbanes Wachstum. Mo- derne Großstädte können nur dann wirtschaftlich florieren, wenn kreative Menschen in großer Zahl vertre ten sind. Diese verfügen über kreatives Potenzial, das Florida wie folgt definiert: “intrinsically human ability to create new ideas, new technologies, new business mo- dels, new cultural forms, and whole new industries that really [matter]” (Florida 2005). Florida unterscheidet dabei drei Arten von menschlicher Kreativität, die sich gegenseitig beeinflussen, verstärken und im Ergebnis die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen voran- treiben:
- Der hochkreative Kern generiert Wissen, ist innovativ tätig und treibt die ökonomische und tech- nische Entwicklung voran. Diese Aufgabe erfüllen beispielsweise Wissenschaftler, Ingenieure, Univer- sitätsprofessoren, Architekten, IT-Spezialisten oder Hightech-Fachkräfte.
- Die kreativen Berufe wie Anwälte, Ärzte, Finanzexperten und Manager, unterstützen die wirtschaftliche Entwicklung, indem sie ihr Wissen in immer neuen Zusammenhängen anwenden. Sie finden und lösen Probleme.
- Die dritte Untergruppe, die Bohemians (u.a. Künstler, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller) stellen schließlich den künstlerisch aktiven Teil dar, der zwar keine wirtschaftlichen Probleme löst, aber wesentlich ist für die kulturelle Entwicklung und Lebensqualität einer Region oder Stadt.
Obwohl kreative Menschen schon immer eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Dynamik gespielt haben, ist ihr Einfluss in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen. Laut Richard Florida machen sie heute rund 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in den USA aus. Diese kreativen Wissensarbeiter sind begehrte Arbeitskräfte, die von technologie- und wissensintensiven Unternehmen gesucht werden. Die Unternehmen – so Floridas Zuspitzung – folgen zunehmend den kreativen Talenten (Florida 2004).
Regionale Ausstattung mit Humankapital
Eine erste Indikation für die unterschiedliche Talentausstattung von Städten liefert zunächst die Altersstruktur. Es ist zu erwarten, dass die Wachstumsaussichten einer Region umso größer sind, je höher der Anteil jüngerer Menschen an der Gesamtpopulation ist. Die junge Bevölkerung konzentriert sich in Europa zunehmend in Metropolen. In den fast 1.200 europäischen Nuts-3-Regionen (entspricht in Deutschland der Kreisebene) sind im Durchschnitt 49 Prozent der Einwohner jünger als 45 Jahre. In den Top 15 Metropolen aus dem Florida Ranking liegt der Anteil mit 58 Prozent deutlich höher. Besonders hohe Anteile verzeichnen vor allem Kopenhagen (mit 66 Prozent), Oslo und Dublin (mit 64 bzw. 63 Prozent) (Abb. 07).
Auch die Alterspyramiden dieser Metropolen unterscheiden sich deutlich vom europäischen Durchschnitt. In Kopenhagen lässt sich beispielsweise keine typische Konzentration der Bevölkerung in den Baby-Boomer-Jahrgängen (50-60-Jährige), sondern eine starke Ausbuchtung bei den 20-30-Jährigen erkennen (Abb. 08). Auch Berlin weist einen Ausschlag bei den 20-30-Jährigen auf, aber auch eine große Bevölkerungsgruppe der 50-60-Jährigen. London wiederum zählt mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren zwar auch zu den jüngsten Hauptstädten Europas, zeigt aber eine gleichmäßigere Altersverteilung. Die unterschiedliche Zusammensetzung der Altersstruktur wirkt sich in diesen Metropolen auf Politik, Stadtgesellschaft und Immobilienwirtschaft aus, beispielsweise bei der Suche nach Kita-Plätzen, Altersversorgung, Dating in derselben Altersgruppe oder passenden Wohnungstypen.
Wanderungsmuster junger Talente
Mit Hilfe von Kohortenanalysen lässt sich abschätzen, inwiefern Städte junge Leute zur Ausbildung bzw. zum Studium angezogen haben. Dazu wurde die Anzahl der 15-19-Jährigen im Jahr 2017 in Städten mit mehr als
250.000 Einwohnern mit der Anzahl der 20-24-Jährigen fünf Jahre später im Jahr 2022 verglichen. Beispielsweise wurden in diesem Zeitraum in Kopenhagen aus 100 15-19-Jährigen durch Zuzug über 250 20-24-Jährige. Damit hat sich diese Alterskohorte, die für den Arbeitsmarkt höchstrelevant ist, innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt. Auch die anderen betrachteten Top 15 Metropolen liegen im rechten oberen Feld (Abb. 09) und zeigen Nettozuwächse von 10 bis 70 Prozent in diesen Altersklassen.
Mit dieser Methode lässt sich auch abschätzen, wie attraktiv eine Stadt für Berufseinsteiger ist bzw. wie viele der Absolventen nach ihrer Ausbildung oder dem Studium in der jeweiligen Stadt „kleben“ bleiben. Hierzu wurde die Anzahl der 20-24-Jährigen 2017 der Anzahl der 25-29-Jährigen 2022 gegenübergestellt. Auch hier liegen alle betrachteten Top 15 über 100, d.h. sie haben auch in dieser Alterskohorte Nettozuzug generieren können. Auffällig ist, dass insbesondere die deutschen Metropolen in dieser Kategorie reüssieren.
Mit diesem Wanderungsverhalten junger Talente geht eine stärkere Humankapitalausstattung insbesondere der europäischen Metropolen einher. Erneut zeichnen sich Floridas Top 15 mit einem jeweils im nationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Anteil junger Bevölkerung mit hohem Bildungsniveau aus (u.a. Kopenhagen, München, Berlin, Zürich, Stockholm). Eine starke Humankapitalausstattung ist ein Standortvorteil für Unternehmen, die dort eine Vielzahl von Arbeitskräften mit den benötigten spezifischen Qualifikationen vorfinden. Umgekehrt ziehen Fachkräfte eher in die Städte bzw. Regionen, in denen sie ein breites Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten vorfinden, die ihrer Qualifikation entsprechen. Hier zeigt sich erneut der sich selbst verstärkende Prozess und die enge Verknüpfung der drei T aus Richard Floridas Konzept.
Hochschulen als Talentmagnete
Großen Einfluss auf die Wanderungsbilanzen junger Menschen haben Hochschulen, die im internationalen Kampf um Wettbewerbsfähigkeit häufig entscheidend sind. Universitäten sind gleichzeitig auch Treiber der Innovation, sie generieren vor allem Beschäftigung und Neuentwicklungen in Hightech- und wissensintensiven Branchen. Daraus entstehen neue Geflechte, die als Ökosystem einer Region einen entscheidenden ökonomischen Vorsprung verschafft. Beispielsweise gilt Berlin mit seinen drei Exzellenz-Universitäten (FU, TU und Humboldt) als Start-up-Hauptstadt. Auch um die TU München hat sich ein Cluster von Biotech-, IT- und anderen Hochtechnologieunternehmen gebildet. Die TUM bringt jedes Jahr mehr als 70 Start-ups hervor, so viele wie keine andere deutsche Hochschule.
Diese Impulse aus der akademischen Welt bestimmen zunehmend den wirtschaftlichen Erfolg von Großstädten. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass die international renommierten Universitäten Menschen aus der ganzen Welt anziehen, sie sind Talent- Magnete. Ausländische Studierende sind ein ideales Reservoir, um zusätzliche Fachkräfte anzuziehen, denn sie leben nach ihrem Abschluss bereits mehrere Jahre im jeweiligen Land, kennen die Kultur, sprechen häufig die Landessprache und sind bereits integriert.
Wie und wo wohnen Talente?
Um Talente anzulocken – und dauerhaft zu halten –, benötigen Städte adäquate Wohnangebote als ein Teil der territory assets. Vertreter der kreativen Klasse zeigen oft eine Vorliebe für innerstädtische, urbane Orte mit sozialen Treffpunkten wie Cafés, Restaurants und Unterhaltungsorten. Deren Wohnprofil konzentriert sich dabei stark auf kleine und qualitativ hochwertig ausgestattete Wohnungen. Hinzu kommen flexible, temporäre Wohnoptionen, wie kurzfristige Mietverträge oder die Möglichkeit, leicht umzuziehen. Dies spiegelt die dynamische Natur ihrer Karrieren und Lebensstile wider. Dauerhafte und konstante Beschäftigungsverhältnisse sind eher die Ausnahme. Studierende und Auszubildende haben ähnliche Wohnpräferenzen. Diverse Studien sehen infolge der zunehmenden Flexibilität von Lebensplanungen und wachsender (internationaler) Jobmobilität für viele europäische Metropolen deutliches Wachstumspotenzial für temporäre Wohnformen (Abb. 10). Dabei stehen auch flexible Service- und Dienstleistungsangebote wie Highspeed-Internet, Reinigungs-, Fitnessangebote und unterschiedliche Gemeinschaftsräume hoch im Kurs.
Europäische Metropolen mit Zukunftsagenda – Talente
Viele europäische Städte und Regionen, allen voran die Top 15 Floridas, verstehen das Anlocken und Halten von Talenten als einen der Schlüsselfaktoren für anhaltend hohe Innovationsfähigkeit und Wirtschaftskraft und haben entsprechende Ziele und Programme in ihre Zukunftsagenda aufgenommen.
Um Expats anzulocken, gibt es in den Niederlanden attraktive Steuervergünstigungen für Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern. Diese können ihr steuerpflichtiges Einkommen für bis zu fünf Jahre um 30 Prozent reduzieren. Die Stadt Amsterdam hat außerdem diverse Programme für die Anwerbung von Talenten implementiert. Die „Structural Vision for 2040“ will mit der Schaffung von mindestens 70.000 zusätzlichen Wohnungen für unterschiedliche Wohnbedürfnisse explizit junge Talente und Wissensarbeiter ansprechen. Programme wie der „Masterplan Techniek Amsterdam“ oder das „Action Programme for Knowledge und Innovation“ koordinieren Angebot und Nachfrage nach Fachkräften oder unterstützen die Finanzierung von Projekten im Technologiesektor und in Bildungseinrichtungen.
Auch in Frankfurt verfolgt das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept 2030+“ die Stärkung des Wissenschaftsstandortes durch das Anziehen von Talenten. Dazu wird u.a. gemeinsam mit Hochschulen, der IHK und öffentlichen Wohnungsgesellschaften ein Pakt für preisgünstiges Wohnen für Studierende und Auszubildende ins Leben gerufen. Die „Campusmeile“, entlang derer u.a. der Westend Campus der Goethe-Universität, Frankfurt School of Finance & Management und die Frankfurt University of Applied Sciences liegen, soll wichtige Institutionen vernetzen und eine gemeinsame räumliche Identität erhalten.
Voriger Beitrag dieser Serie: Technologie – Das erste der drei „T“ prosperierender Städte