Im ersten Beitrag dieser Serie „Globaler Städtewettbewerb“ gingen wir auf die Erfolgsfaktoren der Top-Metropolen nach dem vom US-Ökonomen Richard Florida entwickelten Theorieansatz zur Kreativen Klasse ein. Seine Annahmen bündelt Richard Florida zu einer wirtschaftlichen Wachstumstheorie: „Technologie, Talente und Toleranz“. Diese drei „T“ stecken das Feld ab, auf dem Regionen und Städte um eine erfolgreiche wirtschaftliche Zukunft wetteifern. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit „Technologie“ als dem ersten der drei Faktoren.
A high technology base is both a necessary condition for and a result of a region having a strong creative economy.
Das erste T (für Technologie) in Richard Floridas Konzept bezieht sich insbesondere auf innovative Zukunftstechnologien, die für das regionale Wachstum in einer wissensbasierten Welt entscheidend sind. So trägt die Entstehung neuer Berufe infolge technologischer Innovationen maßgeblich zum langfristigen Wirtschaftswachstum bei. Mehr als 85 Prozent des Beschäftigungswachstums der vergangenen 80 Jahre in den USA sind laut einer Studie des Ökonomen David Autor allein auf neue Jobs durch Innovationen und neue Technologien zurückzuführen (Autor et al. 2022).
Auch in Zukunft werden durch die Einführung von KI und anderen automatisierten Technologien neue Möglichkeiten und Berufsfelder entstehen, die es zuvor nicht gab. Die Schaffung von Arbeitsplätzen in Bereichen wie KI-Entwicklung, Wartung von KI-Systemen, Datenschutz und KI-Ethik wird als ein entscheidender Faktor für die zukünftige regionale Wirtschaftsentwicklung angesehen (Briggs/Kodnani 2023).
Theorie der langen Wellen
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Innovationen in großen zeitlichen Abständen gehäuft aufgetreten sind und jeweils lange Wachstumsschübe, so genannte lange Wellen (Kondratieff 1926), ausgelöst haben. Eine lange Welle beginnt mit einer Reihe sich ergänzender technisch-wirtschaftlicher Innovationen, d.h. zeitnah auftretenden Inventionen in Schlüsseltechnologiefeldern, die durch starke gegenseitige Verflechtungen gekennzeichnet sind. Durch sie entstehen entweder ganze Industriezweige neu oder vorhandene erfahren grundlegende Veränderungen.
Seit Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert haben fünf lange Wellen die Weltwirtschaft entscheidend geprägt (Abb. 03). Die erste lange Welle (ca. 1785-1845) wurde durch die Erfindung der Dampfkraft sowie Innovationen in der Stahlindustrie getragen. Die zweite Welle brachte Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutende Fortschritte in den Bereichen Eisenbahn, Dampf und Stahl mit sich. In der dritten Welle wurde der wirtschaftliche Aufschwung durch den Einsatz von Benzin- und Elektromotoren ausgelöst, in der vierten Welle durch die Erfindung von Elektronik und
Petrochemie in Produktionsprozessen. Die fünfte Welle wurde in den 1990er Jahren durch die Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt, die eine neue Ära der Globalisierung einleiteten. Aktuell befinden wir uns am Anfang eines neuen Innovationszyklus, der höchstwahrscheinlich von Künstlicher Intelligenz, Internet der Dinge, Robotik und Biotechnik geprägt sein wird.
Mit jeder neuen langen Welle kam es auch zu räumlichen Schwerpunktverlagerungen wirtschaftlicher Aktivitäten. Waren während der ersten Welle England (Manchester) sowie im zweiten Zyklus zusätzlich das Ruhrgebiet und die Ostküste der USA die bedeutendsten Wirtschafts- und Innovationszentren, so konzentrierten sich die dritte und vierte Welle in den USA, Japan und Deutschland. Nicht alle Regionen haben gleichermaßen von diesen Wellen profitiert. Die Innovationskraft der einzelnen Wellen hat sich jeweils sehr stark auf diejenigen Standorte bezogen, die ein entsprechendes Humankapital, technologieorientierte
Institutionen und v.a. Forschungs- und Entwicklungs- Aktivitäten boten. Im Verlauf der Welle nahm die Gravitationskraft des neuen Zentrums zu, was zur Zuwanderung von Arbeitskräften und Kapital führte.
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Regionaler Input für Innovationen
Neue Technologien werden als Motor des Wandels territorialer Wirtschaftsstrukturen angesehen. Einen wichtigen Input dazu liefern Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (FuE), die mittel- bis langfristig die Anpassungs- und Transformationsfähigkeit von Wirtschaftsstandorten bestimmen.
In der EU-Wachstumsstrategie „Europa 2020“ (sog. Lissabon-Strategie) wurde das Ziel festgelegt, mindestens 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Allerdings überschreitet nur etwa jede zehnte der EU-Regionen diese Zielmarke. Abb. 04 stellt die regionale Verteilung der FuE-Intensität für die NUTS-2-Regionen1 dar und zeigt eine Konzentration von Forschungstätigkeiten auf nur wenige Regionen. Zum deutschen Spitzenfeld gehören die Regionen Braunschweig (mit Wolfsburg), Stuttgart und Karlsruhe mit jeweils über fünf Prozent Anteil. Die dort ansässige Automobilindustrie hat die FuE-Ausgaben im Zuge der Transformation zur Elektromobilität deutlich gesteigert. Zusätzlich konzentrieren sich in Europa die Standorte mit hoher FuE-Aktivität haupt- sächlich in oder um die Hauptstadtregionen und die Top 15 Metropolen aus Floridas Ranking (u.a. Kopenhagen, Stockholm, München, Berlin).
Neben den Investitionen in FuE ist auch der Anteil der Beschäftigten im Hochtechnologiesektor (wie zum Beispiel Maschinenbau, chemische Industrie, Biotechnologie, IT) ein Indikator für die künftige Wettbewerbsfähigkeit einer Region. Auch hier zeigt sich ein deutliches geographisches Gefälle in der EU mit hohen Anteilen in Regionen in Mitteleuropa (München, Berlin, Zürich) und Skandinavien (Stockholm, Oslo).
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Patente und Start-ups als Output
Patentanmeldungen bilden den Übergang von FuE zu einer marktorientierten Anwendung und Kapitalisierung neuer Inventionen (Schmidt-Seiwert 2009). Von den in 2023 insgesamt 193.000 beim Europäischen Patentamt eingereichten Anmeldungen stammten 43 Prozent aus EU-Mitgliedstaaten. Davon ein Drittel aus Deutschland. Wie Abb. 05 zu entnehmen ist, clustern sich die technologischen Aktivitäten in Form von Patentanmeldungen sehr stark in wenigen Regionen, wie etwa im Süden des Vereinigten Königreiches, in Dänemark, in den Hauptstadtregionen der skandinavischen Staaten, in Oberbayern und Baden-Württemberg, in der Schweiz und im südlichen Teil der Niederlande. Auch die Anzahl der Start-ups liefert einen wichtigen Hinweis auf die Innovationskraft eines Wirtschaftsraums. Unternehmensgründungen wird meist ein wichtiger Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einer Region zugeschrieben, da Innovationen vorangetrieben, Arbeitsplätze geschaffen werden und ein Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt geleistet wird. Die Analysen zur räumlichen Verteilung von Risikokapital und Start-up-Gründungen lassen zwei Trends erkennen (Tab. 02):
- Zunehmende Urbanisierung: Die Start-ups und das Risikokapital konzentrieren sich zunehmend in großen, global vernetzten Metropolen. Allein die fünf Städte London, Berlin, Stockholm, München und Amsterdam machen fast die Hälfte des europäischen Risikokapitals aus. 40 Prozent aller Start-up-Gründungen in Europa entfallen auf Floridas Top 15.
- Winner-Takes-All-Effekt: Start-ups und Risikokapital weisen auch national ein geografisches Muster auf, bei dem ein Standort, der „Gewinner“, fast alles bekommt. Auf London entfallen 67 Prozent des nationalen Risikokapitals und 76 Prozent der Start-up-Gründungen in Großbritannien. Ähnliche Cluster gibt es in Schweden mit Stockholm, in Dänemark mit Kopenhagen und in Österreich mit Wien. In Deutschland verteilen sich Risikokapital und Gründungen hingegen auf mehrere Metropolen bzw. Hotspots, die unterschiedliche Qualitäten und Schwerpunkte aufweisen (z.B. in Berlin FinTechs und eCommerce, in München der Mobilitätsbereich).
TAB. 02 : START-UPS IN EUROPÄISCHEN METROPOLEN – RISIKOKAPITAL UND GRÜNDUNGEN
Risikokapital für Start-ups in Mio. € 2021-22 |
Start-up-Gründungen 2021-23 |
|||
Stadt | absolut | in % national | absolut | in % national |
London | 37.002 | 67% | 885 | 76% |
Berlin | 15.377 | 57% | 325 | 44% |
Stockholm | 7.028 | 82% | 95 | 69% |
München | 6.043 | 22% | 88 | 12% |
Amsterdam | 4.235 | 62% | 135 | 53% |
Kopenhagen | 2.297 | 75% | 66 | 63% |
Wien | 1.902 | 85% | 84 | 62% |
Dublin | 1.875 | 64% | 74 | 69% |
Zürich | 1.616 | 29% | 79 | 38% |
Madrid | 1.481 | 26% | 205 | 27% |
Hamburg | 998 | 4% | 58 | 8% |
Oslo | n/a | n/a | 37 | 73% |
Warschau | n/a | n/a | 45 | 41% |
Frankfurt | n/a | n/a | 27 | 4% |
Düsseldorf | n/a | n/a | 15 | 2% |
Europa gesamt | 162.859 | 5.487 |
DATEN: EY 2023; EU- STARTUPS 2023
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KI als neue Basisinnovation
Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine der Schlüsseltechnologien der gerade beginnenden sechsten langen Welle. In Europa betrug 2021 bis 2023 das jährliche Wagniskapital für den Bereich KI durchschnittlich 12,4 Mrd. Euro. Im Vergleich zu den USA (rd. 80 Mrd. Euro p.a.) und China (28 Mrd. Euro p.a.) noch relativ wenig. Allerdings floss damit auch in Europa der größte Anteil des Risikokapitals in Software-Start-ups. In Deutschland wurde im Zeitraum 2021 bis 2023 im Jahresdurchschnitt Wagniskapital in Höhe von 3,6 Mrd. Euro in KI-Start-ups investiert (Platz zwei in Europa nach Großbritannien mit 6,3 Mrd. Euro). Deutschland verfügt mit ca. 3.000 Unternehmen über eine beachtliche KI-Startup-Szene (BMWK 2023). Das liegt nicht zuletzt an der hiesigen Rechtssicherheit, der Nähe zu Millionen von Anwendern und Kunden und der Verfügbarkeit von Fachkräften und einer gut ausgebauten und leistungsfähigen Recheninfrastruktur, die allesamt entscheidende Parameter bei der Standortwahl der KI-Industrie darstellen.
Abb. 06 zeigt die wichtigsten Backbone-Leitungen des Internets, die einen Großteil der Top 15 Metropolen aus dem Florida Ranking mit sehr hohen Datenübertragungsraten verbinden. Insbesondere an den Internetknotenpunkten verfügen viele Städte über eine gute Rechenzentren-Infrastruktur. Der weltweit größte kommerzielle Internetknoten ist der DE-CIX in Frankfurt mit dem Höchstwert übertragener Daten von 16,6 Terabit pro Sekunde (GDA 2022). Frankfurt zählt nach London und Amsterdam zu den größten Rechenzentrenstandorten in Europa.
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Zukunftstechnologien und Territory Assets
Für die Ansiedlung von Zukunftstechnologien wird auch ein entsprechendes immobilienwirtschaftliches Angebot benötigt, die territory assets aus dem Konzept von Richard Florida. Das sich rasch ausbreitende KI-Ökosystem und seine unterstützende Infrastruktur wird die Nachfrage nach geeigneten Immobilien in verschiedenen Märkten weltweit antreiben. Das betrifft nicht nur die KI-Entwickler, sondern auch vor- und nachgelagerte Wirtschaftsleistungen, wie Chiphersteller oder Cloud-Anbieter. In den USA hat sich der Immobilienflächenbedarf von KI-Unternehmen seit Ende 2020 bis Ende 2023 verdoppelt (JLL 2024). Es wird erwartet, dass sich das künftige Wachstum auf Tech-Standorte konzentrieren wird, an denen KI-
Talente (Universitäten, Tech-Hubs und Innovationszentren), eine adäquate Energieversorgung und ein leistungsfähiges Glasfasernetz verfügbar sind. Dazu zählen auch die Top 15 Metropolen aus dem Ranking von Richard Florida. Die Nachfrage richtet sich dort vor allem auf innerstädtische, integrierte Büroflächen, die auf New Work und ESG-Konformität ausgelegt sind. Ein Erfolgsbeispiel dafür sind die aktuellen Standortentscheidungen von Apple und Google. Im Projekt KARL hat Apple jüngst sein europäisches Zentrum für Chipdesign mitten in München eröffnet. Seit 2006 ist Google vor Ort aktiv und renoviert zurzeit die historische Arnulfpost (JLL 2023).
Parallel dazu wird auch der Datacenter-Markt exponentiell wachsen, denn gerade KI ist auf viel Rechenstärke angewiesen. Rechenzentren sind das Rückgrat der digitalen Infrastruktur, die viel Platz (in Immobilien) benötigt. Die hohen rechtlichen und gesellschaftlichen Anforderungen an Datenschutz, Datensicherheit und Datenhoheit machen es erforderlich, dass Daten aus Deutschland auch in Deutschland verarbeitet und gespeichert werden. Auch das ist ein wichtiger Treiber (GDA 2024) prognostiziert, dass bis 2029 mehr als 28 Mrd. Euro in den Ausbau von Co-Location-Zentren und Hyperscalern fließen müssen. Aufgrund des Energieeffizienzgesetzes (Energieeinsparungen, Abwärmeanforderungen) richtet sich der Investmentfokus vor allem auf Neubauprojekte und neuere Bestandsobjekte.
Metropolen mit Zukunftsagenda – Technologie
Zusammengefasst zeigt sich in Europa eine deutliche räumliche Polarisierung der Innovationskraft durch das erste der drei T – Technologie. Es gibt nur wenige Regionen, die sich hierbei stark positionieren. Die betrachteten Top 15 Metropolen gehören dabei zu den Innovationsführern. Städte wie München und Kopenhagen adressieren dieses Thema explizit mit diversen Programmen in ihrer Zukunftsagenda.
Mit der Hightech Agenda Bayern und der Hightech Agenda Plus investiert der Freistaat insgesamt rund 5,5 Mrd. Euro in eine Technologieoffensive, durch die u.a. über 100 KI-Professuren geschaffen werden sollen. Aus den bereitgestellten Mitteln wird auch das Munich Quantum Valley gefördert, das Forschungskapazitäten und den Technologietransfer zwischen Forschung, Bildung und Industrie im Bereich Quantentechnologien bündelt. Die Stadt München forciert in ihrer Digitalisierungsstrategie u.a. den erforderlichen Ausbau der Breitbandversorgung und der IoT-Infrastrukturen.
Auch Kopenhagen soll sich bis 2036 weiter als attraktiver Wissensstandort profilieren. Im Mittelpunkt steht der Ausbau des Wissens- und Innovationsquartiers „Copenhagen Science City“ mit Schwerpunkten in den Bereichen Medizin, Gesundheits- und Naturwissenschaften mit 40.000 Forschenden, Studierenden und Beschäftigten sowie 500 innovativen Unternehmen. Dazu werden über 200.000 m² Bürofläche benötigt.
Den nächste Beitrag dieser Serie zum 2. „T“ (Talente) finden Sie in Kürze auf ASSETPHYSICS.