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Stabilität ist kein Zustand, sondern eine Methode

Was professionelles Risikomanagement in der Immobilienanlage heute leisten muss

Sicherheit ist eine Illusion. Wer Immobilien managt, weiß das. Zinsen steigen, Baukosten schwanken, regulatorische Eingriffe verändern Märkte über Nacht. Trotzdem streben wir nach Stabilität, und das ist auch richtig. Nur entsteht sie nicht durch Kontrolle, sondern indem wir Strukturen schaffen: mit Daten, Szenarien und klarer Steuerungslogik. Risikomanagement bedeutet, systematisch und kontinuierlich Risiken zu identifizieren, zu bewerten, zu steuern und zu überwachen, um Portfolios widerstandsfähig zu halten und auch in unsicheren Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Gerade in Zeiten, in denen sich Spielregeln über Nacht ändern können.

Das Bild wurde mit KI erstellt

Nachhaltigkeit ist ohnehin längst das Liniennetz, das alle Entscheidungen verbindet

Stefan Unterburger
Senior Portfoliomanager bei Domicil Real Estate Group

Die neue Risikolandschaft institutioneller Portfolios

Immobilienportfolios bewegen sich in einem komplexen Umfeld: Märkte schwanken, Mieterprofile verändern sich, Gebäude altern – alles gleichzeitig. Wir strukturieren Risiken entlang der drei Ebenen Markt, Mieter und Objekt und ergänzen sie um Erkenntnisse aus ESG, Baukostenentwicklung, regulatorischen Eingriffen und der Asset-Bewertung.

Marktrisiken: Rahmenbedingungen unter Druck

Zinsänderungen, Nachfrageschwankungen und politische Eingriffe setzen die äußeren Grenzen für die Portfolios. Wenn Transaktionen ausbleiben, weichen Gutachter-Spreads stärker vom Durchschnitt ab, was die Bewertungsunsicherheit erhöht. Baukostenindex und Genehmigungszeiten schwanken über Jahre, Fertigstellungsrisiken steigen und die Investitionsplanung wird erschwert. Unsere Modelle simulieren diese Szenarien, um Bandbreiten zu erkennen, innerhalb derer wir handlungsfähig bleiben.

Mietrisiken: Balance zwischen Regulierung und Realität

Mietrechtliche Eingriffe wie Mietpreisbremse, Kappungsgrenzen oder regionale Mietspiegel begrenzen die Möglichkeiten zur Mietanpassung. Gleichzeitig steigen die Nebenkosten, wodurch die Nettomiete belastet wird. Dabei dürfen wir Mieter nicht überbeanspruchen. Demografische Verschiebungen und Fluktuationen verändern zudem die Mieterstruktur. Wir analysieren Bonität, Indexierung und Zahlungsfähigkeit, um strukturierte Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechende Entscheidungen zu treffen.

Objektrisiken: Substanz, die sich bewähren muss

Instandhaltungsrückstände, Materialpreisvolatilität und Handwerkerknappheit beeinflussen die Wirtschaftlichkeit von Modernisierungen. ESG-Anforderungen verschärfen die Lage: Ein Gebäude kann bilanziell solide erscheinen, aber bei fehlender Energieeffizienz, unzureichenden technischen Standards oder fehlenden Nachrüstpotenzialen entsteht ein Zukunftsrisiko. Wir prüfen daher nicht nur den aktuellen Ertrag, sondern auch den Investitionsbedarf, die Förderfähigkeit von Maßnahmen und die langfristige Wertentwicklung – inklusive CO₂-Fußabdruck, Energieprofil und regulatorischen Zielpfaden.

Nachhaltigkeit als strategische Steuerungsgröße

Nachhaltigkeit ist ohnehin längst das Liniennetz, das alle Entscheidungen verbindet. Deshalb betrachten wir Energieausweise, CO₂-Bilanzen, ESG-Scorings und Ähnliches als Grundlage für konkrete Investitionsentscheidungen. Mithilfe von Tools wie CRREM (Carbon Risk Real Estate Monitor) identifizieren wir Zeitpunkte, ab denen ein Objekt vom regulatorischen Zielpfad abweichen könnte: die sogenannten Stranding Points. Wirtschaftlich übersetzt bedeutet das für uns: Kosten steuern, Zeithorizonte kalkulieren und möglicherweise neue Chancen erkennen. Förderbedingungen ändern sich, Materialpreise schwanken und die Vermietbarkeit variiert. All das fließt direkt in unsere Modelle ein. So wird ESG zum Frühwarnsystem: Wer früh investiert, bewahrt Flexibilität und reduziert die Abhängigkeit von unvorhersehbaren regulatorischen Sprüngen.

Frühwarnsysteme für resilienten Cashflow

Risikomanagement funktioniert nur, wenn operative Kennzahlen konsequent beobachtet werden. Wir erfassen Zahlungsrückstände, Mahnquoten, Leerstandzeiten, Vermietungsanreize sowie CapEx-Entwicklungen und werten sie in Zeitreihen aus. Diese Daten bilden den Puls des Portfolios. Veränderungen in einem Marktsegment zeigen sich zuerst in kleineren Abweichungen, wie längeren Vermarktungszeiten, steigenden Instandhaltungskosten oder sinkenden Mietsteigerungsspielräumen. Solche Signale verknüpfen wir mit Sensitivitäts- und Stresstests. Wie wirken sich +100 Basispunkte Zinsanstieg oder 5 % höhere Leerstände auf den Cashflow aus? Welche Objekte werden kritisch, wenn Baukosten oder Energiepreise weiter steigen? Die Antworten werden aus den Szenarien abgeleitet. Dennoch bleibt Erfahrung entscheidend: Zahlen zeigen Trends, aber erst Marktverständnis verwandelt sie in Handlungsentscheidungen.

Das Portfolio als lernendes System

Übrigens: Reporting ist für uns kein End-, sondern ein Startpunkt für aktives Handeln. Mit Diversifikation, Rebalancing und klar definierten Exit-Strategien steuern wir Risiken. Jedes Objekt wird regelmäßig hinsichtlich seiner Zukunftsfähigkeit, seines Investitionsbedarfs und seiner Marktposition geprüft. Verliert ein Standort an Dynamik oder ist ein Gebäude strukturell nicht mehr ESG-konform modernisierbar, wird ein Verkauf zur rationalen und strategischen Entscheidung. Diversifikation bleibt dabei das Fundament. Unterschiedliche Standorte, Baujahre und Nutzungstypen reduzieren Klumpenrisiken. Doch Diversifikation allein reicht nicht. Wir verfolgen eine qualitative Steuerung, also eine bewusste Gewichtung nach Zukunftsthemen: energieeffiziente Bestände, resilienter Mietermix, urbane Nachverdichtung. So wird das Portfolio nicht nur stabil, sondern auch lernfähig.

Transparenz schafft Vertrauen – im Prozess wie im Ergebnis

Bei uns ist Risikomanagement kein isolierter Prozess, sondern integraler Bestandteil jeder Entscheidung. Die Verantwortung dafür liegt beim Portfoliomanagement, das eng mit dem Asset- und Property-Management verzahnt ist. Quartalsweise Reports verbinden ESG- und Finanzkennzahlen, Marktszenarien und Objektstrategien. Entscheidend ist der Dialog – zwischen Zahlen und Menschen, Modellen und Marktgefühl. Wir legen Wert auf Transparenz: Annahmen werden dokumentiert, Bewertungslogiken offengelegt, Entscheidungen nachvollziehbar gemacht. Nur so entsteht Vertrauen – sowohl intern gegenüber den Entscheidungsträgern als auch extern gegenüber unseren Investoren. Risikomanagement ist damit mehr als eine Funktion, es ist eine Haltung: kritisch und datengetrieben, aber handlungsorientiert.

Risiken verstehen, Entscheidungen stärken

Ein professionelles Risikomanagement führt zu einer Resilienz im Portfolio. Sie entsteht, wenn Risiken nicht verdrängt, sondern verstanden werden. Wenn Kennzahlen zur Steuerung dienen. Und wenn ESG, Marktkenntnis und Datenkompetenz zusammenspielen. Unser Ziel ist nicht, Risiken zu vermeiden, sondern sie produktiv zu nutzen. Denn wer Risiken konsequent analysiert, gewinnt Entscheidungsfreiheit. Genau das unterscheidet defensive Verwaltung von aktivem Portfoliomanagement.

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