
Nach den am 10. Juli 2025 veröffentlichten Entwürfen der EIOPA zu den Level III – Änderungen der Implementing Technical Standards (IST) hat nun auch die EU-Kommission am 17. Juli 2025 ihre Vorschläge für geänderte Level II – Durchführungsbestimmungen zur Solvency II-Richtlinie zur Konsultation gestellt. Der nach Überarbeitung vorgelegte Entwurf zu den Level II – Durchführungsbestimmungen soll an die geänderte Solvency II-Richtlinie anpassen. Mit Veröffentlichung des Entwurfs hat eine siebenwöchige Konsultationsphase begonnen, die bis zum 5. September abzuschließen ist.

Recap: Was ist Solvency II?
Solvency II versteht sich als das europäisch harmonisierte Regelwerk für Versicherer. Damit ist es das Pendant zu Basel III für Kreditinstitute. Wie Basel III setzt auch Solvency II auf risikoorientierte, dreisäulige Aufsichtsarchitekturen mit Kapital-, Governance und Transparenzanforderungen:
- Quantitative Anforderungen: Mindestkapitalanforderungen von Versicherern
- Qualitative Anforderungen: Interne Kontrollen und Governance-Systeme
- Transparenz und Berichtspflichten
Recap: Was heißt hier bitte schön Level II?
Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf betrifft die Level II zu Solvency. Aber was bedeutet überhaupt Level II? Ganz konkret: Das sind die Durchführungsbestimmungen zur Solvency II – Richtlinie. Berechnungsansätze der Solvency Capital Requirements (SCR), Anforderungen an Quantitative Reporting Templates (QRTs) und Bewertungsmethoden für Vermögenswerte und Verbindlichkeiten finden sich hier konkret niedergelegt. Mit anderen Worten: Um zu wissen, wie die wesentlichen Plichten der Versicherer nach der Solvency II-Richtlinie umzusetzen sind, schaut man hier rein. Dazu ein wenig Einordnungswissen:
- Die Begriffe Level I, Level II und Level III stammen aus dem sogenannten „Lamfalussy Prozess“.
- Hierbei handelt es sich um ein vierstufiges Gesetzgebungsverfahren der EU, dass im Jahr 2001 in der EU speziell für den Wertpapiersektor entwickelt wurde. Weil dieses Verfahren ursprünglich auf einen Vorschlag des „Ausschusses der Weisen“ zurück geht, ist der Name dieses speziell im Finanzsektor angewendeten EU-Gesetzgebungsverfahrens untrennbar mit dem Namen des Vorsitzenden dieses Ausschusses verbunden. Und das war eben Baron Alexandre Lamfalussy.
- Level I („Richtlinie“) sagt was zu tun ist. Level II („Durchführungsbestimmungen“) sagt wie es zu tun ist. Level III („Aufsichtliche Koordinierung und Anwendung“) sagt wie es einheitlich in Europa getan werden soll. Und was ist mit Level IV? Ah, das ist eine dieser kleinen EU-Ironien: Es gibt zwar vier Stufen, aber nur drei „Level“. Die drei Level beziehen sich auf die Regelsetzung, wobei die vierte Stufe die Aufsicht und Durchsetzung darstellt.
Der Änderungsvorschlag der EU-Kommission betrifft ganz konkret Level II, also die Durchführungsbestimmungen, indem er für ELTIF und für Lower-Risk-Fonds einen direkten Bezug zur Solvency II Richtlinie auf Level I herstellt.

Warum ist ein Änderungsvorschlag der EU-Kommission zu Level II auf den Tisch gekommen?
Da die anwendungsbezogene Konkretisierung der Ziele und Vorgaben von der Solvency II-Richtlinie (2009138/EG) auf Level I durch die Durchführungsbestimmungen auf Level II erfolgt, ergaben sich seit ihrer erstmaligen Einführung immer wieder mal Überarbeitungsnotwendigkeiten. Dabei handelt es sich in der Regel um gezielte Anpassungen an Marktverhältnisse, neue aufsichtliche Erkenntnisse oder andere politische Initiativen. Und so ist es auch hier. Der neue Änderungsvorschlag der EU-Kommission zu den Durchführungsbestimmungen auf Level II soll einerseits an die geänderte Solvency II-Richtlinie auf Level I anpassen. Und andererseits formuliert die EU-Kommission ambitionierte Ziele in Form von weniger Regulierungsaufwand und mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dahingehend ist die Reaktion des Gesamtverband der Versicherer (GDV) als indifferent zu bezeichnen, der im Änderungsvorschlag zu Level II „einen Schritt nach vorn“ und gleichzeitig auch „weiterhin Nachbesserungsbedarf“ erkennen will.
Von Fundamentalkritik der Verbände abgesehen: Was ist in der Tüte für die ELTIF und anderen sogenannten Lower Risk-Fonds?
Der Vorschlag bewirkt in Artikel 171d (Neu) der Durchführungsbestimmungen auf Level II eine Zuordnung von ELTIF und Lower-Risk-Fonds zu Long-Term Equity Investments (LTEI).
Für ELTIF und Lower-Risk-Fonds ergibt sich eine regulatorische Begünstigung, wenn sie spezifische Voraussetzungen erfüllen. Hintergrund der Anpassung ist die erforderlich gewordene Bezugnahme auf Art. 105a Absatz 2 der Solvency II Richtlinie auf Level I, deren Vorschrift neu aufgenommen wurde. Diese genannte Fundstelle in Level I ermöglicht es, dass die Anwendung des LTEI-Moduls nicht auf die Ebene der Vermögensgegenstände des Fonds, sondern auf die Ebene des Fonds selbst zu beziehen ist. Damit sind in der Praxis für den Zweck der Anwendung des LTEI-Moduls deutliche Erleichterungen verbunden. Art. 171d (Neu) der Durchführungsbestimmungen auf Level II stellt explizit klar, dass von der verbesserten Anwendung von Art. 105 a Abs. 2 der Solvency-Richtlinie auf Level I die ELTIF und andere sogenannte Lower-Risk-Fonds profitieren. Das alles klingt recht technisch, und das ist es auch. Darum beginnen wir mit dem Begriffsverständnis am besten einfach von vorne, s.u.
Was machen LTEI denn überhaupt?
Ein LTEI ist eine strategische, langfristige gehaltene Beteiligung des Versicherers, die, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllt, regulatorisch begünstigt wird. Darin liegt der ganze Charme!
Was ist eine solche regulatorische Begünstigung von LTEI?
Als eine solche regulatorische Begünstigung kann sich die deutlich verringerte Eigenmittelhinterlegung ergeben. Die Eigenmittelhinterlegung ist das, was als aufsichtsrechtlich verfügbares Eigenkapital des Versicherers gebunden ist. Desto weniger Eigenkapital des Versicherers für seine Investitionen gebunden ist, umso weniger ist seine Freiheit eingeschränkt, siehe dazu unten.
Und ganz konkret gesprochen, was heißt das für den Versicherer?
Die Eigenmittelunterlegung beträgt bei LTEI 22% auf den Marktwert des LTEI. Bei einer davon umfassten begünstigten Investition müsste der Versicherer bei einer Beispiels-Investition mit einem Marktwert von 10.000.000 Euro anstatt – beispielsweise – 3.900.000 Euro (standardmäßig 39% Eigenmittelhinterlegung als sogenanntes Marktrisikomodul) lediglich 2.200.000 Euro als Eigenmittel für den Investitionszeitraum binden. Eigenmittel sind während ihrer Bindungsdauer übrigens ohnehin nicht „weg“ oder sonst wie „verschwunden“, sondern sie sind eben nur „gebunden“. Das bedeutet praktisch, dass diese Eigenmittel im Bindungs-Zeitraum nicht entweder andere Risiken decken oder als Gewinne an die Eigentümer des Versicherers ausgeschüttet werden dürfen. Darin ist der Vorteil für den Versicherer begründet, dass ihm schlicht mehr regulatorisches Eigenkapital für weitere Investitionen zur Verfügung steht. Natürlich wirkt sich eine geringere Eigenkapitalbindung vorteilhaft auf die vom Versicherer verdiente Kapitalrendite aus. Das LTEI-Modul unter Solvency II ist der daher der regulatorische Türöffner für langfristige Investitionen insbesondere in Infrastruktur, Beteiligungen und Private Equity! Und durch die Bezugnahme auf Art. 105a Abs. 2 der Solvency-Richtlinie auf Level I ergeben sich dadurch für ELTIF und Lower-Risk-Fonds Erleichterungen, weil sich die Anwendung des LTEI-Moduls auf die Ebene des Fonds (anstatt der Vermögensgegenstände) beziehen darf.
Und damit kommen wir konkret zum Beispiel auch auf Infrastruktur
Die Ausführungen in der Präambel bestätigen, dass auch Eigenkapital-Infrastruktur-Anlagen unter die Begünstigung des LTEI-Moduls fallen können. Das ist folgerichtig, denn die Nutzung des LTEI Moduls war beispielsweise für die European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) schon immer ein wunder Punkt. Die EIOPA hatte seinerzeit in 2021 im Rahmen des „Review of Solvency II“- Prozesses erhoben, dass nur 17 Versicherer (weniger als 4% der regulierten Versicherer) LTEI einsetzen („Background document on the opinion on the 2020 Review of Solvency II“). Und gerade Infrastrukturvermögen wurde von der EU-Kommission bereits zu dieser Zeit als ein Bereich hervorgehoben, in dem Versicherungskapital gefördert werden soll.
Ergebnisse:
- Der nach Überarbeitung von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf zu den Durchführungsbestimmungen auf Level II soll an die geänderte Solvency II-Richtlinie auf Level I anpassen.
- Übergeordnete Ziele der EU-Kommission sind weniger Regulierungsaufwand und mehr Wettbewerbsfähigkeit; dahingehend zeigen sich die Branchenvertreter noch nicht vollständig zufrieden.
- Konkret ergibt sich aber für ELTIF und für sogenannte Lower-Risk-Fonds eine Klarstellung durch den Verweis auf die relevante Fundstelle der Solvency II Richtlinie auf Level I, dass das LTEI-Modul bei ELTIF und bei Lower-Risk-Fonds auf Fondsebene angewendet werden kann; das führt zu Anwendungserleichterungen.
- Damit steht für ELTIF und Lower-Risk-Fonds noch besser die regulatorische Tür bei Infrastruktur-Investitionen offen, von der privilegierten Eigenmittelhinterlegung in Höhe von 22% profitieren zu können. Für ELTIF könnte das insofern auch interessant sein, wie in diese Versicherer unmittelbar im Rahmen von Versicherungsmantel-Produkten investieren.